Die Möglichkeit eine katholische Kirch in Perm besuchen zu können hat mir die Notwendigkeit genommen mich eingehend mit dem orthodoxen Christentum eindringlich zu beschäftigen, aber in der katholischen Kirche lernte ich bereits früh Alexej kennen, der mir immer gern Einblick in sein geschichtliches und kirchengeschichtliches Wissen gibt.
Gestern hatte er mich anlässlich seines Geburtstags eingeladen mit ihm und zwei Mädels aus der katholischen Gemeinde (eigentlich beide auch orthodox) ein wenig aus der Stadt herauszufahren in ein kleines Dorf. Dort ist er beinah jeden Samstag und besucht zunächst immer am Morgen die Messe, was wir dann auch taten.
Bereits der Kirchenraum unterscheidet sich deutlich von den unseren.
Es gibt beispielsweise keine Sitz- oder Kniebänke, sondern man steht die gesamte Zeit, was bei einem Gottesdienst über drei Stunden schon ganz schön anstrengend werden kann. Wie lang unsere Messe dauerte, kann ich nicht sagen, weil ich weder vorher noch nachher auf die Uhr schaute und viel zu sehr vom Gottesdienst gebannt, als dass ich ein Zeitgefühl gehabt hätte, doch ich denke, ganz so lang war es nicht.
Ein weiterer Unterschied ist die räumliche Trennung des Altars vom restlichen Kirchenraum. Ich kann nicht genau sagen bei welchen Gottesdienstelementen dies der Fall ist, aber die beiden Türen an den Seiten und der Vorhang in der Mitte werden zu bestimmten Zeiten während der Messe geschlossen. Zur Wandlung sind sie jedenfalls offen.
An den Wänden hängen in orthodoxen Kirchen zahlreiche einzeln gerahmte Ikonen vor denen Kerzen entzündet und gebetet wird.
In dieser kleinen Kirche war es so, dass der Boden mit Teppichen ausgelegt war und vor der Tür die Schuhe ausgezogen werden mussten.
So viel zunächst einmal zu den räumlichen Unterschieden.
In der Messe fiel mir besonders die Passivität der Gläubigen, aber auch des Priesters auf. Außerdem die Wiederholung der gesungenen Gebete.
Die meiste Zeit singt vorne ein Chor oder es singen einzelne Personen die Messe während die Gläubigen sich immer wieder andächtig bekreuzigen und eine Verbeugung an das Kreuzzeichen anschließen. Diese Gesänge sind immer nur sehr kurz und werden einige Minuten wiederholt.
Durch die lange Dauer der Liturgie, an der aus theologischen Gründen keine großen Veränderungen vorgenommen werden dürfen – es besteht eine ausgeprägte Verpflichtung gegenüber den alten Kirchenvätern, in diesem Fall gegenüber Johannes Chrysostomus (344/349 – 407), auf den die Liturgie zurückgeht – entstand sogar zeitweise eine Unart des Singens verschiedener Teile der Messe von unterschiedlichen Chören parallel um die Messe zu verkürzen.
Zwischendurch beweihräuchert der Priester den Altar und betet dabei, aber ich konnte nichts verstehen, weil die Messen nicht auf Russisch, sondern Kirchenslawisch gefeiert werden, doch einmal erkannte ich eine Heiligenlitanei.
Die meiste Zeit ist der Priester aber damit beschäftigt die Beichte der Gläubigen abzunehmen. In dieser kleinen Kirche war das ablegen der Beichte sogar (nicht nur in der theologischen Theorie) notwendig um die Eucharistie empfangen zu dürfen, aber als Katholik war ich eh nicht zum Mahl des Herrn geladen, weil die beiden Kirchen die Taufe des jeweils anderen nicht anerkennen.
Das große Schisma zwischen Orthodoxie und Katholizismus wird in der Regel auf das Jahr 1054 datiert, doch die Entwicklung zu einer solchen Spaltung beginnt weit früher.
Wir sprechen also von zwei Kirchen, die sich die letzten 1500 Jahre auseinander entwickelt haben, was es unglaublich schwierig macht Vergleiche zu ziehen und noch weniger lässt sich über die andere Kirche urteilen.
Ich bin durch meine westliche Sozialisation einfach vertrauter mit dem katholischen Glauben und wenn ich von orthodoxen Jugendlichen schreibe, die die katholische Kirche gerne besuchen, ist das auf die für sie modern und liberal erscheinende Liturgie und Glaubenslehre der katholischen Kirche zurück zu führen – vergleichbar mit der großen Anziehungskraft freievangelischer Bewegungen in Deutschland.
Aus orthodoxer Sicht war es die Katholische Kirche, die sich von ihr entfernt hat, weil sie selbst immer um größtmögliche Kontinuität und den Erhalt der bestehenden Glaubenslehre und Praxis bedacht war, doch diese Variante erscheint mir persönlich etwas zu simpel.
In einer sich entwickelnden Gesellschaft besteht die Notwendigkeit der Adaption, sonst verlieren Welt und Religion die Verbindung zueinander.
In Deutschland kann hierfür das Beispiel der lutherischen Reformation dienen, welche auch tief in die katholische Glaubenslehre gewirkt hat, weil eben eine solche Entfremdung von Welt und Religion stattgefunden hatte, die für Unmut bei den Menschen sorgte.
Die orthodoxe Denkweise dagegen wird eine solche Anpassung nie akzeptieren können, weil sie sich bereits früh darauf festgelegt hat, den Glauben an die erste Stelle – unabhängig jeglicher Entwicklung – zu stellen, was auch dafür sorgt, dass es beinah unmöglich ist als außerhalb des Klosters lebender Mensch, der seiner Arbeit nachgehen muss, alle Glaubenspflichten einzuhalten.
Dies ist, das möchte ich betonen, keine Kritik, denn es ist natürlich nur konsequent als Gläubiger Gott mehr Bedeutung als dem Weltlichen zu schenken.
Es gibt aber auch auf die Frage, ob dies das Interesse Gottes sein kann zwei Antworten: die westliche und die östliche.
Wem diese Ausführungen vielleicht zu hoch waren, und ich habe vielleicht auch nicht immer deutlich genug ausformuliert, worum es geht, dem möchte ich sagen, dass ich im Anschluss an den Gottesdienst noch einen schönen Tag in der dörflichen Natur hatte mit netten Gesprächen fernab der Theologie.
Am Schluss wurden wir dann noch das Priester zum Tee eingeladen und sein Angestellter – so möchte ich ihn mal nennen aus Ermangelung eines besseren Wortes – fuhr uns zurück in die Stadt.